Eine besondere Lernerfahrung erlebte eine Delegation aus Chisinau, der Hauptstadt der Republik Moldau, in der zweiten Septemberwoche 2023 – und zwar durch einen Studienbesuch an der Mannheimer Abendakademie. Zu den Teilnehmenden aus Chisinau gehörten die für den Bereich Soziales zuständige Vizebürgermeisterin, zwei Expert*innen der Direktion für Bildung, Jugend und Sport sowie zwei Mitarbeiter*innen des kürzlich gegründeten Erwachsenenbildungszentrums CMIEA. Von DVV International waren der Regionalleiter für Östliche Nachbarn sowie die Leiterin des moldauischen Landesbüros vertreten.
Der Studienaufenthalt sollte dazu dienen, Strategien und Ansätze der Mannheimer Abendakademie kennenzulernen, um ein kommunal unterstütztes Erwachsenenbildungszentrum als wichtige lokale Weiterbildungseinrichtung zu etablieren. Seit 1989 pflegt Mannheim eine Städtepartnerschaft mit Chisinau, und die beiden Städte stehen in engem Austausch. Die konkrete Zusammenarbeit zwischen der Mannheimer Abendakademie und CMIEA begann im Februar 2023 mit dem ersten Workshop in Chisinau, geleitet von der Geschäftsführerin der Abendakademie, Susanne Deß. Im Vorfeld dieser Initiative fand im Jahr 2021 eine Studienreise statt, bei der die Vizebürgermeisterin Angela Cutasevici gemeinsam mit einer Gruppe ukrainischer und moldauischer Akteur*innen deutsche Volkshochschulen besuchte.
Das vom 9. bis zum 16. September organisierte Programm bot eine breite thematische Vielfalt. Die Themen reichten von Kooperationen des Erwachsenenbildungszentrums mit anderen urbanen Strukturen und Akteur*innen bis zur Planung und Umsetzung bereits anerkannter und neuer Programmangebote. Es ging ferner um die Zusammenarbeit mit Pädagog*innen aber auch prominenten Persönlichkeiten, um bedarfsorientiere und innovative Bildungsaktivitäten zu entwickeln und zu ermöglichen. Auch der Einsatz von und das Experimentieren mit erprobten Unterrichts-Modellen wurde diskutiert, um sich auf neue Herausforderungen einzustellen.
Die Abendakademie kann auf eine beeindruckende Geschichte von 120 Jahren zurückblicken. Dies mag für das CMIEA in Chisinau, das im Juni 2023 mit seinen ersten Kursen begann, unerreichbar erscheinen. Doch das junge Bildungszentrum in Moldau kann sich hohe Ziele stecken, da es mit der Mannheimer Abendakademie auf ein bewährtes Modellkonzept baut. Dieses Modell, das mit zeitgemäßen Ansätzen auf aktuelle Herausforderungen reagieren kann, hat sich bereits in schwierigen Zeiten bewährt, wie beispielsweise während der jüngsten Pandemie. Dabei mussten die Angebote der Abendakademie für täglich etwa 1500 Teilnehmende nicht eingeschränkt werden, was zeigt, dass Beständigkeit und Engagement den Unterschied ausmachen.
Ausgewogene Bildungsangebote – ansprechend, relevant und lebendig gestaltet
Für die Besucher*innen aus Moldau steht derzeit die Entwicklung eines breit gefächerten Kursangebots für Erwachsene ganz oben auf ihrer Prioritätenliste. Dabei sollen insbesondere die wirtschaftliche und soziale Integration der Teilnehmenden verbessert werden. Um die Menschen zum Lernen zu motivieren, wurde dem pädagogischen Management des Zentrums empfohlen, Qualität zu einem zentralen Leitprinzip der Institution zu machen und sich dabei nicht allein auf externe Faktoren zu verlassen. Die Zertifizierung von Kursen beispielsweise ist nicht automatisch ein Erfolgsgarant, denn eine übermäßige Zertifizierung ist unter Umständen nur ein Lippenbekenntnis zu wirklicher Qualität.
Bildung sollte in einem ausgewogenen Verhältnis ansprechend, relevant und lebendig gestaltet sein, damit die Menschen gerne eine vhs oder andere Bildungseinrichtungen besuchen. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass selbst in Deutschland mit seiner langjährigen Erwachsenbildungstradition, einschließlich Mannheim, Menschen die Gewohnheit verlieren, Kursangebote wahrzunehmen. Es braucht Zeit, diese Gewohnheiten wieder aufzubauen. Hieraus kann CMIEA lernen, dass Angebote entwickelt werden müssen, die Vertrauen und Loyalität schaffen und sowohl von den Lehrenden als auch den Lernenden unterstützt werden.
Eine weitere wichtige Erkenntnis besteht darin, dass die Arbeit im Alleingang niemals so erfolgreich sein kann wie durch den Aufbau tragfähiger Netzwerke. In der noch jungen Demokratie der Republik Moldau wird mitunter die Zuverlässigkeit von Partnerschaften angezweifelt, und eine „Ein-Mann-Show“ ist weit verbreitet. Auch wenn die Bildung von Netzwerken von Lehrenden und Unterstützenden nicht einfach ist, so ist dies keineswegs unmöglich. In Deutschland werden verschiedene Ansätze verfolgt, darunter die Stärkung der Professionalisierung von Lehrenden, die Berücksichtigung der (zeitlichen und weiteren) Bedarfe der Lernenden, sowie die Organisation von Netzwerk- und Anerkennungsveranstaltungen.
Absichtserklärung über weitere Zusammenarbeit und gegenseitigen Austausch
Ein besonderer Moment des Aufenthaltes war das Gespräch mit dem frisch gewählten Oberbürgermeister von Mannheim, der die Abendakademie besuchte und sich mit den moldauischen Gästen austauschte. Dabei betonte er nachdrücklich das Interesse der Stadt Mannheim, die Zusammenarbeit mit Chisinau zu vertiefen.
Die Begegnungswoche fand ihren Höhepunkt in der Unterzeichnung einer Absichtserklärung über die weitere Zusammenarbeit zwischen der Abendakademie in Mannheim und dem Chisinauer Erwachsenenbildungszentrum. Die beiden Einrichtungen planen den gegenseitigen Austausch fortzusetzen und in Zukunft voraussichtlich auch ein Pilotprojekt mit Online-Kursen anzubieten.
Die Kooperation zwischen den beiden Partnerstädten erstreckt sich über viele unterschiedliche Bereiche. Die Einbeziehung der Erwachsenenbildung und die Unterstützung bei der institutionellen Entwicklung stellen zweifellos eine wesentliche Bereicherung dar. Sie beinhaltet auch die Übermittlung bewährter Leitlinien für Good Practices von einer EU-Kommune zu einer Metropole eines EU-Beitrittskandidaten. Ziel ist es vor allem, das nachhaltigste Kapital dieser Stadt – ihre Bürger*innen unterschiedlicher Altersgruppen – zu einer lernbereiten Bevölkerung weiterzuentwickeln. Diese soll befähigt werden, ihre Stadt und ihr Land zu einem modernen und verbesserten Lebensraum zu gestalten, wobei kontinuierliche Fortbildung auf allen Ebenen eine zentrale Rolle spielt.