Als dieser Beitrag geschrieben wurde, stand es noch nicht fest, ob eine neue Regierung von CDU/CSU und SPD auch wirklich zustande kommt. Ohne parteipolitisch werden zu wollen, blieb dies zu hoffen, denn Besseres als der vorgelegte Vertrag wird auf absehbare Zeit auch in allen denkbaren anderen Konstellationen kaum erreichbar sein.
Als Parteien in der politischen Mitte sehen sich CDU/CSU und SPD dabei gemeinsam in der Verantwortung für eine umfassende Erneuerung des Landes, was sie in der Präambel mit Leitmotiven verdeutlichen wie “soziale(r) Zusammenhalt” durch "mehr Chancengleichheit", “handlungsfähige(r) Staat” durch die "Digitalisierung (in) unserem Alltag", “ordnen (von) Migration” und “steuern (von) Integration” durch bessere "Rahmenbedingungen für gelingende Integration". Für die zukünftigen Regierungspartner sollen "Leistungsträger und ihre Familien im Mittelpunkt (stehen)". "Massive Investitionen in Kitas und Schulen werden die Chancengleichheit in unserem Land deutlich erhöhen."
Viele Anknüpfungspunkte, die es noch auszugestalten gilt
Wo 2007 noch die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel die „Bildungsrepublik Deutschland“ ausgerufen hat, ist Nüchternheit eingekehrt. Das braucht kein Nachteil zu sein, wenn denn Bildung und damit auch Weiterbildung über das Kernprogramm hinaus in wirklich allen Ressorts als Schlüsselaufgabe in gemeinsamer Aktion bearbeitet wird, müssen doch die Menschen durch Kompetenzen und Bildung, durch Lernbereitschaft und Lernerfolge und eben Weiterbildungsfähigkeit stark gemacht werden. Hierauf wird vom DVV und seinen Partnern in der Weiterbildung in Bund und den Landesverbänden sowie den Volkshochschulen in den Ländern und Kommunen in den nächsten Jahren jedenfalls mit klugen Vorschlägen, klaren Forderungen und Ausdauer bis zur Penetranz hinzuarbeiten sein. Diesen Einsatz braucht es, damit das Menschenrecht auf Weiterbildung endlich eingelöst wird, und zwar in allen Facetten der beruflichen Weiterbildung wie der allgemeinen Weiterbildung und deren fortschreitender wechselseitiger Befruchtung.
Konkrete und wichtige Anknüpfungspunkte für diese weiterführende Perspektive gibt es in mehreren Kapiteln des zukünftigen Koalitionsvertrages trotz des Umstands, dass die programmatische Vorarbeit und inhaltliche Präzision bei allen Parteien durch die überraschenden Neuwahlen erkennbar gelitten hat und dies auch auf die Verhandlungsergebnisse durchgeschlagen hat.
An solchen Ankerpunkten sind insbesondere für die allgemeine Weiterbildung zu nennen:
- Es soll eine “altersübergreifende digitale Kompetenzoffensive” geben unter Beteiligung der öffentlichen Bildungsträger.
- Die gesellschaftliche Teilhabe von älteren Menschen soll gestärkt werden und digitale Teilhabebarrieren sollen durch Unterstützungsprogramme wie den "Digitalpakt Alter" weiter abgebaut werden. "Altersdiskriminierung soll entgegengewirkt werden. Dazu gehören auch (…) Bildungsmaßnahmen."
- Das Programm "Kultur macht stark" wird fortgesetzt und soll den Ausbau kultureller Bildungs- und Vermittlungsangebote an Kultureinrichtungen fördern.
- "Aufbauend auf der AlphaDekade stärken wir mit den Ländern die Strukturen und Netzwerke. Wir legen zusätzliche Schwerpunkte auf Demokratie, Gesundheits- und digitale Grundbildung".
- Die Unterstützung von Projekten zur demokratischen Teilhabe durch das Bundesprogramm "Demokratie leben!" wird fortgesetzt. Demokratiebildung, Medien- und Nachrichtenkompetenz sollen gemeinsam mit den Ländern gestärkt werden.
Bildung bleibt auch globale Aufgabe
Nicht vergessen werden dürfen hier auch die Passagen, die den Volkshochschulverband und speziell DVV International und die Europäische Erwachsenenbildungsarbeit im EAEA ansprechen. So heißt es: “Wir werden uns weiterhin im Kampf gegen Armut, Hunger und Ungleichheit engagieren. Wir setzen auf die Förderung von Mädchen und Frauen (…). Weitere zentrale Aufgaben sind gute Bildung, menschenwürdige Beschäftigung, soziale Sicherung, robuste Gesundheitssysteme und gute Regierungsführung.” Und: “Wir wollen Europa erlebbarer machen und zentrale Bausteine für eine offene, demokratische, kreative und soziale Gesellschaft stärken. Wir setzen uns für eine Stärkung von Erasmus+ für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport sowie eine Verbesserung des Programmzugangs ein.” Von Rita Süssmuth, unserer langjährigen Präsidentin und Ehrenpräsidentin, haben wir gelernt, wie wichtig Offenheit und Empathie in der EINEN Welt sind und dass die internationale Erwachsenenbildung hierfür unverzichtbar ist und auch ausdrücklich bleiben muss.
Aus diesen Sätzen werden die Erwartungen wie die Anerkennung für die bisherige Arbeit auch der vhs deutlich. Da lässt sich dann auch verschmerzen, dass es im Unterschied zum Koalitionsvertrag von 2021 im Bereich der Bildungspolitik im Jahr 2025 keinen eigenen Abschnitt für die Weiterbildung gibt und die Volkshochschulen im Gegensatz zu den Koalitionsverträgen von 2018 und 2021 nicht ausdrücklich hervorgehoben werden.
Mehr Investitionen für Integration
Weil die Volkshochschulen hier selbstbewusst sein dürfen und um ihren Wert wissen, ist die Konzentration auf die konkreten Inhalte dann umso wichtiger. Mit Blick auf die ebenso bedeutende wie erfolgreiche Arbeit der Volkshochschulen als dem größten Träger von Bildungsmaßnahmen für Menschen, die aus den verschiedensten Gründen der Migration nach Deutschland gekommen sind, können wir als Versprechen im Koalitionsvertrag verzeichnen:
"Wir wollen mehr in Integration investieren (und in) Integrationskurse investieren (…)."
Und: "Wir wollen ein bedarfsgerechtes Angebot an Berufssprachkursen auf Dauer absichern und in der Fläche ausbauen. (…) Wir werden die schnelle und nachhaltige Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt mit einer Verbindung aus früherer Arbeitserfahrung, berufsbegleitendem Spracherwerb und berufsbegleitender Weiterbildung/ Qualifizierung dauerhaft voranbringen."
Die prononcierte Hervorhebung der Berufssprachkurse kann sicherlich als besonderer Akzent für eine veränderte Integrationspolitik verstanden werden. Allerdings sollten wir in der Überzeugungsarbeit für den Wert der Integrationskurse nicht nachlassen. Eine positive Gesamtbilanz bei den Berufssprachkursen ist auf intensive, möglichst auf die einzelnen Menschen und ihre Lebensbedingungen und Lernvoraussetzungen ausgerichtete und damit erfolgreiche Integrationskurse angewiesen.
(Bildungs)politischer Fachverstand schlägt finanzpolitische Agenda
Da ist es hilfreich, wenn die Koalitionspartner sich ihrer Verantwortung für funktionsfähige Weiterbildungseinrichtungen bewusst sind und versprechen, das Statusfeststellungsverfahren zügig, “schneller, rechtssicherer und transparenter” zu machen. Hier hat der DVV mit seiner Aufklärung über die möglichen negativen Auswirkungen des Herrenberg-Urteils offensichtlich nachhaltig überzeugen können. Das Fehlen einer klaren Aussage zur Umsatzsteuerbefreiung für gemeinwohlorientierte Bildungsdienstleistungen, die noch im Koalitionsvertrag von 2021 vorhanden war, muss dagegen leider als großes Fragezeichen gewertet werden. Hier dürfen der DVV und die Volkshochschulen nicht nachlassen, das Primat der (Bildungs-)Politik gegenüber der Finanzverwaltung einzufordern.
"Ressortdenken aufbrechen“ und Chancen für die vhs nutzen!
Karin Prien, Verhandlungsführerin der CDU/ CSU für den Bildungsbereich, hat ja Recht mit ihrer Feststellung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 17.4.25 : “Allerdings ist ein Koalitionsvertrag keine Trophäensammlung, sondern es geht darum, miteinander Rahmenbedingungen und neue Wege unter Bewahrung dessen, was sich bewährt hat, zu ermöglichen.” Und ergänzt wurde dieser Aufruf um die Aufforderung, "enges Ressortdenken aufzubrechen".
Hierzu bietet der Koalitionsvertrag drei sehr konkrete Ansatzpunkte, die auch von den Volkshochschulen nur begrüßt und konstruktiv mit aufgenommen werden können.
- Volkshochschulen stehen für Bildung in öffentlicher Verantwortung. Und das bedeutet insbesondere in kommunaler Verantwortung. Dazu heißt es im Koalitionsvertrag zum einen: “Mit einem Zukunftspakt von Bund, Ländern und Kommunen werden wir die finanzielle Handlungsfähigkeit stärken und eine umfassende Aufgaben- und Kostenkritik vornehmen.” Und zum anderen mit Blick auf den Bildungsföderalismus: “In diesem Rahmen wollen wir die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen mit gemeinsam getragenen übergreifenden Bildungszielen verbessern und effizienter gestalten.” – Das können die Volkshochschulen und die Kommunen als ihre Gewährträger nur mit Wohlgefallen wie Gespanntheit unterstützen.
- Positiv sind auch die finanziellen Öffnungen für die Länder. Einen zusätzlichen Finanzspielraum für sie von 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts hat es bisher genauso wenig gegeben wie ein 500-Milliarden-Sonderprogramm für Investitionen, von denen 100 Milliarden an die Länder gehen sollen. Aufgepasst: Der Artikel 104c des Grundgesetzes, der sich ausdrücklich auf Finanzhilfen für Investitionen im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur bezieht, fasst hierunter bisher im einschlägigen Verständnis Hilfen für Kitas, Schulen und Berufliche Bildung. – Die Volkshochschulen als Teil der kommunalen Bildungsinfrastruktur dürfen hier nicht außen vor bleiben.
- Dies muss erst recht gelten angesichts der Entscheidung, das bisherige Ministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend um das Bildungsministerium zu erweitern. Wie hat Karin Prien am 17.4. programmatisch erklärt: “Insgesamt ist das neue Ministerium das Gesellschaftsministerium, in dem alle Themen rund um gesellschaftlichen Zusammenhalt, Generationengerechtigkeit und Demokratiebildung angesiedelt sind.” – Das sind die Volkshochschulen als Sachwalter der gesamten Bildungsbiografie bis ins hohe Alter gewiss auch und deshalb kann dieses neue Ministerium wichtiger Partner in der notwendigen Öffnung der Nationalen Weiterbildungsstrategie über "enges Ressortdenken" (s.o.) hinaus sein.
Die Chancen sind da. Jetzt müssen sie auch genutzt werden.