„Doch im Osten geht die Sonne auf“ – Entwicklungspolitische Bustour durch Brandenburg, Sachsen und Thüringen

Eine Gruppe von Menschen steht in einem hellen Raum. Sie blicken interessiert nach links, auf eine Person außerhalb des Bildrandes. Im Vordergrund sind Stühle und ein Tisch mit Obst und Gemüse.
Die Reisenden zu Besuch in Werder. „Beim Gemüseschneiden kommen die Menschen ins Gespräch.“

Montagmorgen um 7:45 Uhr am Anhalter Bahnhof in Berlin: Unser Reisebus parkt geschickt am Straßenrand, der Verkehr fließt – nur wir stehen noch mitten auf dem Radweg und sorgen für Stirnrunzeln oder Kopfschütteln bei Vorbeikommenden. 

Inzwischen lösen wir solche Reaktionen häufig auch beruflich aus. Wir, das sind Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und des Staates. Zwei Mitarbeiter des BMZ sind dabei, Kolleg*innen von Engagement Global, der Agentur des BMZ und haufenweise Leute wie ich: Referent*innen für entwicklungspolitische Bildungsarbeit, für Globales Lernen und BNE (Bildung für nachhaltige Entwicklung) und Eine-Welt-Engagierte. Organisiert wurde die Tour vom 29. bis zum 30. September von der Stiftung Nord-Süd-Brücken aus Berlin. Unser Ziel: die Arbeit von Initiativen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen kennenlernen und verstehen, wie man in AfD-Hochburgen über lokal-globalen Anstand spricht.

Globale Solidarität – die ethische Grundlage aller Eine-Welt-Arbeit oder entwicklungspolitischen Bildungsarbeit – ist längst kein Konsens mehr. Eine Pollytix-Studie im Auftrag des BMZ zeigte vor einem Jahr, dass die deutsche Öffentlichkeit Entwicklungszusammenarbeit zunehmend infrage stellt. Längst ist es nicht mehr nur die AfD, die alles andere als eine nationale Perspektive ablehnt. Auch aus der Mitte der Gesellschaft kommt Kritik. Egoismus ist wieder schick. „Hilfsbereitschaft ja – Solidarität nein“, wie es später eine Bildnerin für demokratisches und solidarisches Handeln aus Sachsen fasst.

Werder an der Havel: Lernen durch Erleben

Unser erster Stopp ist in Werder an der Havel. An einem der vielen brandenburgischen Seen steht die Anlage des Uferwerks Werder – Wohnprojekt und Klimawerkstatt mit Raum für verschiedene Aktivitäten. Das „FestEssen“ in Werder ist ein Festival für 2.000 Leute. Es gibt Speisen aus der ganzen Welt, ein abwechslungsreiches Bühnenprogramm und Kochkurse. Alles wird wie selbstverständlich mit Fragen zu Klimaschutz, Weltoffenheit, Ernährungsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit verbunden. Die Aktiven machen deutlich: Vorträge und Diskussionen mit Appellen an die Eigenverantwortung locken niemanden mehr hinterm Fernseher oder Tablet hervor. Stattdessen werden erlebnisorientierte Ansätze wichtig: Brotbacken, Schokolade herstellen oder anderes lernen. Und dabei Fragen aufwerfen: Wie kann zukunftsfähiges Wirtschaften funktionieren? Wie hängt unser Alltag mit globalen Fragen zusammen?

Diese Erfahrung ist auch relevant für Volkshochschulen. Etliche Programmplanende suchen nach neuen Ansätzen, um Kurse der BNE und des Globalen Lernens attraktiver zu machen. Dass wir andere Wege suchen müssen und finden können, glaubt auch Fatuma Musa Afrah. Sie hat „United Action Girls and Women e.V.“ gegründet, ein migrantischer Frauenverein, und ist für ihr Engagement preisgekrönt. Sie wurde in diesem Jahr von der Bundeszentrale für politische Bildung zur Botschafterin für Demokratie und Toleranz ernannt. Und sie mischt beim FestEssen mit. Ihr Credo: „Sobald ich mit einer Power-Point-Präsentation komme, gibt es politischen Streit. Wenn Leute gemeinsam Gemüse schneiden, beginnen sie, miteinander zu sprechen.“

Fun Fact am Rande: Während die AfD, im Stadtrat von Werder zweitstärkste Kraft, sich im Beharren gefällt und verspricht, mit ihnen würde alles wieder so wie (vermeintlich) früher, probieren Landwirte in der Region längst völlig undeutsche Getreidesorten wie Amaranth und Quinoa aus. Die trockener werdenden Sommer erfordern neue Wege – und Lernen vom Globalen Süden.

Wurzen: Kulturkampf im Alltag

Im sächsischen Wurzen erleben wir einen knallharten Kulturkampf. Das Netzwerk für demokratische Kultur e.V. (NDK) ist den lokalen Rechten ein Dorn im Auge. Der Verein betreibt das D5, ein soziokulturelles Zentrum, das in den 2000er Jahren, den Baseballschlägerjahren, gegründet wurde, als Raum für alle, die sich nicht den Neonazis anschließen wollten. Seitdem macht das NDK erinnerungspolitische und Eine-Welt-Arbeit und führt Konzerte und Kinoabende durch. Die existenzielle Landesförderung aus Sachsen bekommt das NDK nur, wenn die Kommune einen Eigenbeitrag leistet. Und den verweigert die Kommunalregierung aus CDU, AfD und den Bürgern für Wurzen (BfW). (Die Brandmauer ist hier längst gefallen.) Auch eine Sammelaktion zur Entlastung der Stadtkasse änderte nichts. Die Politik verweigert Annahme und Weiterleitung der Spende und verhindert so die Landesförderung. Ob es eine Ausnahme geben wird, ist fraglich.

Dabei bietet die Region spannende Anknüpfungen für Fragen lokaler wie globaler Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. In Sachsen lagern riesige Lithiumvorkommen, die einerseits dringend für die Energiewende gebraucht werden. Bergbau würde andererseits den Naturschutz und den Tourismus in der Region gefährden. Hier sehen entwicklungspolitische Bildner*innen deutliche Parallelen zum Bergbau im Kongo oder zum Lithiumabbau in Lateinamerika, mit gravierenden Folgen für Natur und Bevölkerung. Ein Blick über den südlichen Tellerrand könnte eine Debatte über die Art und Weise der Nutzung bereichern und vielleicht Lösungen aufzeigen. Das ist eigentlich ein spannender Aufhänger, um aus einer regionalen Fragestellung eine globale Perspektive zu entwickeln. Aber er setzt die Bereitschaft voraus, sich damit auseinanderzusetzen und beinhaltet eben auch Fragen nach globaler Gerechtigkeit. In Wurzen sind Akteure, die solche Themen ansprechen, von der Kommunalpolitik offenbar nicht mehr gelitten. 

Freiberg: Engagement trifft Widerspruch

Im sächsischen Freiberg gibt es kein NDK, aber es gibt jede Menge Aktive und Engagierte für eine solidarische Welt, die sich von Wahlergebnissen oder ablehnenden Haltungen nicht abschrecken lassen. Etliche Initiativen bilden ein starkes Netzwerk, das in der lokalen Bevölkerung immer wieder für Aufsehen sorgt. Der Verein Hujambo Habari beispielsweise sammelt mechanische Nähmaschinen ein, möbelt sie auf und nimmt sie in den Kongo mit, wo sie zuverlässiger funktionieren als elektrische und Näher*innen ein Einkommen ermöglichen. Die Schülerfirma Namasté sammelt Spenden für ein Projekt in Nepal und die Freiberger Agenda 21 e.V. betreibt den Eine-Welt-Laden im Ort und wiegt anlässlich einer Wette den Bürgermeister mit fairer Kleidung auf – und gewinnt. Und häufig sind auch rechtsextreme Politiker*innen und ihre Anhänger mit dabei und beteiligen sich am Nähmaschinenrefurbish, am Spendenlauf und geben ihre Stimme ab, wenn die Freiberger*innen ihre eigene, natürlich faire Stadtschokolade wählen können. (Es ist Salzkaramell geworden.) Hilfsbereitschaft? Auf jeden Fall. Solidarität? Eher nicht. Wann man denn mal für die Menschen in Freiberg sammle, fragt jemand beim Spendenlauf. Andere sagen, sie würden beim Reparieren von Nähmaschinen mitmachen, damit „die Leute nicht zu uns kommen"

Hier in Freiberg beobachten wir etwas Ungewohntes: Die Leute sind miteinander aufgewachsen, zur Schule gegangen, sie arbeiten und leben miteinander in dem kleinen 46.000-Einwohner-Städtchen. Sie sind politisch gegensätzlich und haben stark unterschiedliche Weltsichten. Trotzdem treffen sie ständig aufeinander. Wir im Bus stammen überwiegend aus großstädtischen Blasen wie Berlin und Bonn. Uns ist die Nähe unheimlich. Viele von uns können wortgewaltig Demokratie, globale Gerechtigkeit und Solidarität verteidigen, bleiben dabei aber in unseren liberalen Schutzräumen. Die werden im kleinen Freiberg – kleiner sein. Ist es inkonsequent, den Rechten den Raum zu überlassen, oder mutig und engagiert, die Verbindungen zu erhalten und das Gespräch nicht abreißen zu lassen? Was ist mit denen, die bei Eine-Welt-Aktivitäten Schutzräume und Gleichgesinnte suchen, sich aber dann doch mit den Rechten auseinandersetzen müssen? Andererseits heißt es, ein AfD-Mann sei mit in den Kongo gefahren und verändert zurückgekommen. Nachdenklich fahren wir weiter nach Pößneck in Thüringen, unserer letzten Station.

Pößneck: Demokratie leben und fördern

In einer von idealistischen Fahrradreisenden betriebenen Kaffeerösterei warten zwei Initiativen auf uns. Außerdem ist André Hausner gekommen, Leiter der vhs Saale-Orla-Kreis, mit zwei Programmplanerinnen aus seinem Team. Die eine Initiative, Goals Connect e.V., hat mit großem Erfolg ein Spendenparlament im Landkreis etabliert. Mit Hausner sind sie bestens bekannt. Die Idee: Geld sammeln für lauter Initiativen, die wenigstens ein SDG (Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen) ansprechen. Die Spender entscheiden einmal im Jahr gemeinsam und demokratisch darüber, wer die Förderung letztlich erhält. Der Welt zugewandt und demokratisch – das ist doch was.

Die andere Initiative – Dorfliebe für Alle, ein offenes Bündnis, spricht genau die Themen an, die uns alle bewegen: Demokratie, Vielfalt und Respekt. Das Bündnis kooperiert mit der vhs Saale-Orla-Kreis, die mit ihnen gemeinsam einen Integrationskurs durchgeführt hat. Ihr Ansatz: Nicht nur Demonstrieren (was sie auch machen), sondern eine Perspektive für ein demokratisches Miteinander anbieten und etwas für die Leute in der Region tun. Auf dem Programm stehen Ausflüge, Wandertouren für Frauen und Kinder, Erzählcafés, Filmabende – und offene Briefe gegen AfD-Politiker. Sie sind stolz, damit dazu beigetragen zu haben im Januar 2024 einen AfD-Landrat zu verhindern. Das wurde ihnen zumindest vom jetzigen Landrat bescheinigt.

Ihre klare Kante bereitet ihnen aber auch Schwierigkeiten. Aktivistin Nina erzählt, es gebe etliche Kleinbusse in öffentlichen Einrichtungen, die an Wochenenden kaum gebraucht würden. Aber sie spüre Vorbehalte seitens der Kommune, ihnen die Busse für Wochenendausflüge, z. B. mit migrantischen Müttern, zu leihen. Ob das tatsächlich auf ihre politische Ausrichtung zurückzuführen ist, weiß sie natürlich nicht sicher.

Von Pößneck geht es für mich (in einem gemieteten Kleinbus) weiter nach Erfurt und zurück nach Bonn. Ich nehme jede Menge Eindrücke, Sorgen und Hoffnungen mit. Klar ist: Demokratie muss zurückschlagen und Punkte machen. Und vhs können dabei eine große Rolle spielen.

Der Autor

Ein Mann posiert für ein Porträtbild

Benedict Steilmann

Benedict Steilmann ist Referent für Globales Lernen in der Volkshochschule bei DVV International.