Was bedeutet es, als Erwachsene*r lesen und schreiben zu lernen, was sind Herausforderungen und wie verändert sich das eigene Leben dadurch? Wir haben Lernende aus Projekten in unseren afrikanischen Partnerländern gefragt.
Christopher Olur ist 54 Jahre alt und wohnt in Pabali in Uganda. Er ist verheiratet und hat sieben Kinder, die alle zur Schule gehen.
Warum wollten Sie lesen und schreiben lernen?
2021 bin ich der Gemeinschaftsinitiative „Kwan Aye Anyim Community Empowerment Group“ beigetreten, da ich unbedingt lesen und schreiben lernen wollte. Viele meiner Bekannten konnten sehr gut lesen und schreiben, ich hingegen musste immer um Hilfe bitten und meinen Daumenabdruck als Unterschrift setzen. Das hat mich bei allen gemeinschaftlichen Aktivitäten sehr unsicher gemacht. Ich wollte lesen und schreiben lernen, um dieses Stigma endlich zu überwinden. Außerdem wollte ich die Fortschritte und Leistungen meiner Kinder in der Schule verfolgen, um sie voll und ganz auf ihrem Bildungsweg unterstützen zu können. Als Analphabet konnte ich darüber hinaus nur sehr begrenzt an Entwicklungsprogrammen teilnehmen. Das lag daran, dass häufig Formulare ausgefüllt werden mussten. Dabei wurde ich mehrfach von skrupellosen Freunden hintergangen. Sie hatten sich für mich ausgegeben und ihre eigenen Daten eingetragen. Das Gleiche erlebte ich im Geschäftsleben. Durch meine fehlende Grundbildung wurde ich immer wieder betrogen.
Warum haben Sie als Kind nicht lesen und schreiben gelernt?
Ich bin der älteste Sohn in unserer Familie. Meine Eltern haben sich um unsere Farm gekümmert und mich gebeten, in der Zeit zu Hause zu bleiben und auf meine jüngeren Geschwister aufzupassen. Wenn sie dann von der Farm zurückkamen, half ich dabei, die Vögel im Gemüsegarten zu verscheuchen oder ging mit ihnen auf die Jagd.
Was war das Schwierigste am Lernen als Erwachsener?
Ich hatte das Glück, gemeinsam mit meiner lieben Frau Christine Adong in einer Klasse zu lernen. Auch wenn einige Männer sehr wahrscheinlich Bedenken vor einer solchen Erfahrung gehabt hätten, war es für mich ein Segen. Wir haben uns gegenseitig bei den Aufgaben unterstützt und immer wieder daran erinnert, frühzeitig zum Unterricht zu erscheinen. Dies brachte mir sogar einen Preis für pünktliche Anwesenheit ein. Anfangs haben sich einige meiner Freunde über mich lustig gemacht, weil ich erst als Erwachsener lesen und schreiben lernte und noch dazu mit meiner Frau in der gleichen Klasse. Noch schwieriger wurde das Lernen durch die Coronapandemie und die staatlichen Einschränkungen. Sie führten dazu, dass viele Unterrichtsstunden ausfielen. Hinzu kam noch, dass es mir schwerfiel, lange Wörter und Sätze zu lesen und zu schreiben. Aber ich blieb hartnäckig und schaffte es am Ende doch, auch das zu lernen. Und nach zwei Jahren und neun Monaten schloss ich den Kurs erfolgreich ab.
Was bedeutet das Lernen für Sie? Wie hat sich Ihr Leben verändert?
Der Kurs hat mich verändert und zu einem verantwortungsvollen Mann gemacht, der sowohl zu Hause als auch in unserer Gemeinde voll und ganz respektiert wird. Früher habe ich oft Gelegenheitsjobs angenommen und mir dann davon Alkohol und andere unnütze Dinge gekauft. Doch seit ich lesen, schreiben und Geschäftskompetenzen erlernt habe, denke und arbeite ich auch als Farmer unternehmerisch. Über unseren lokalen Spar- und Kreditverein lege ich Geld zur Seite, um meiner Familie ein besseres Leben zu ermöglichen. Heute bin ich ein sehr verantwortungsbewusster Ehemann und Vater und lebe zufrieden mit meiner Familie in unserer Gemeinde. Ich brauche keine Hilfe mehr, um Papiere zu lesen oder Formulare auszufüllen. Nur bei Unterlagen in Englisch bin ich noch auf Unterstützung angewiesen, da wir in unserer lokalen Sprache, Acholi, unterrichtet wurden. Außerdem wurde mein Haushalt für das staatliche Entwicklungsprogramm „Parish Development Model“ ausgewählt und mit Fördermitteln unterstützt. Wir haben 1.000.000 Uganda-Schilling [ca. 250 Euro] erhalten, um unsere landwirtschaftlichen und gewerblichen Aktivitäten zu verbessern. Im vergangenen Jahr sind meine Frau und ich dann eingeladen worden, alle Lernenden im Erwachsenenalter auf einem Symposium zum Weltalphabetisierungstag in Kampala zu vertreten. Es war meine erste Reise in die Hauptstadt. Ich hatte die Möglichkeit, vor vielen prominenten Persönlichkeiten meine persönlichen Erfahrungen zu teilen.
Welche Botschaft möchten Sie anderen Erwachsenen mitgeben, die nicht lesen und schreiben können?
Ich kann allen Männern nur Mut machen, einen Alphabetisierungskurs für Erwachsene zu besuchen. Es gibt noch so viel mehr zu lernen außer lesen und schreiben. Wer Analphabet bleibt, wird im Alter nur noch mehr abgestempelt und benachteiligt. Außerdem möchte ich alle Männer bestärken, ihre Ehefrauen dabei zu unterstützen, einen Grundbildungskurs zu besuchen. Eine Frau, die lesen und schreiben kann, bereichert das Wohl der gesamten Familie um ein Vielfaches.