In Ecuador macht die Jugend- und Erwachsenenbildung spürbare Fortschritte hin zu mehr Inklusion. Neue Initiativen setzen sich dafür ein, das Recht auf Bildung gerade für jene zu verwirklichen, die vom traditionellen Bildungssystem bislang ausgeschlossen blieben.
Ein wichtiger Fortschritt in diesem Bereich wurde im staatlichen Bildungszentrum „Juan Montalvo“ in Quito erreicht, wo in Zusammenarbeit zwischen DVV International und dem Bildungsministerium ein virtuelles Bildungsangebot speziell für gehörlose Menschen angepasst wurde. Um die Grundsätze der Gleichheit und Bildungsgerechtigkeit zu erfüllen, wurde dabei die Moodle-Plattform des Bildungsministeriums von DVV International im Prozess einer fachlichen Beratung weiterentwickelt, um die Nutzung durch gehörlose Lernende zu erleichtern.
Inklusive Technologie und Gebärdensprache als Basis des Lernens
Das im Bildungszentrum „Juan Montalvo“ entwickelte Bildungsmodell bricht mit der traditionellen Struktur, indem es die Gebärdensprache als Hauptunterrichtssprache anerkennt und die Erfahrungen von Gehörlosen als aktive Protagonisten ihres Lernprozesses einbezieht und wertschätzt. Das Team besteht aus zwei gehörlosen Lehrkräften und sechs Gebärdensprachdolmetscher*innen, die zusammenarbeiten, um ein leicht zugängliches, relevantes und qualitativ hochwertiges Bildungsangebot zu gewährleisten.
Eine der größten Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, ist der strukturelle Unterschied zwischen Gebärdensprache und geschriebenem Spanisch. In der Gebärdensprache werden keine Artikel, Konnektoren oder Präpositionen verwendet, was das Verständnis von wissenschaftlichen Texten oder umfangreichen Bewertungen erschwert. Angesichts dessen haben die Lehrkräfte visuelle und kreative Strategien entwickelt, die es ermöglichen, komplexe Konzepte auf klare und stringente Weise zu vermitteln. Grundlage für die Anpassung der Bildungsplattform des Bildungsministeriums waren die Prinzipien der kommunikativen Barrierefreiheit und die Validierung durch gehörlose Lehrkräfte und die „Nationale Vereinigung der Gehörlosen Ecuadors“. Die Verwendung von Videos, Symbolen, Bildern und einfachen visuellen Befehlen in Gebärdensprache hatte hier Priorität.
Wenn es bestimmte Konzepte in der ecuadorianischen Gebärdensprache nicht gibt, wie beispielsweise die „Quadratwurzel“, entwickelten die Lehrkräfte im Konsens neue Gebärden - ein Prozess, der auch regionale oder internationale Unterschiede berücksichtigt. Zum Beispiel kann ein Symbol, das in Ecuador „mehr“ bedeutet, in einem anderen Land eine andere Bedeutung haben, was die Lehrkräfte dazu veranlasst, zu Beginn jeder Klasse Sprachvereinbarungen zu treffen, insbesondere wenn es internationale Studierende gibt.
Herausforderungen inklusiver virtueller Bildung
Virtuelle Bildungsangebote erweitern zwar Zugang und Reichweite von Bildung, stellen aber auch besondere Herausforderungen für die gehörlose Bevölkerung dar: So können gehörlose Lernende nicht eingreifen, indem sie ihr Mikrofon aktivieren, sondern müssen auf visuelle Hinweise zurückgreifen oder Geräusche erzeugen, um die Aufmerksamkeit der Lehrkraft oder der Dolmetschenden zu erregen. Ein weiteres Hindernis ist die verpflichtende Nutzung des schriftlichen Chats als institutionellem Kommunikationskanal, eine Praxis, die nicht auf die kommunikativen Bedürfnisse von Gehörlosen eingeht, die sich durch Videogebärdensprache besser ausdrücken können. Diese Tatsachen unterstreichen, wie wichtig es ist, nicht nur die Bildungsinhalte, sondern auch die Kommunikationsgewohnheiten und Interaktionssysteme anzupassen, um eine echte und nicht nur formale Inklusion zu erreichen.
Nötige Transformation des Bildungswesens
Die Erfahrung des Bildunsgzentrums „Juan Montalvo“ zeigt, dass inklusive Erwachsenenbildung nicht nur möglich, sondern auch dringend notwendig ist. Inklusion geht über die Einbeziehung von geschulten Lehrkräften und Dolmetscher*innen hinaus: Sie erfordert einen strukturellen Wandel des Bildungsumfelds, der die sprachlichen, kulturellen und kommunikativen Besonderheiten von Menschen mit Behinderung respektiert. Das Projekt ist auch ein Beispiel für das Potenzial von gehörlosen Menschen als Pädagoge*innen, indem sie empathische und kulturell relevante Lernräume schaffen. Die Anwesenheit von gehörlosen Lehrkräften verbessert nicht nur die Qualität des Bildungsprozesses, sondern stärkt auch das Zugehörigkeitsgefühl, die Identität und die Autonomie der Lernenden. Das Praxisbeispiel des Bildungszentrums „Juan Montalvo“ fördert nicht nur das Recht auf Bildung für Gehörlose, sondern bietet auch ein replizierbares Modell, das zur Erfüllung nationaler und internationaler Agenden in Bezug auf die Bildungsinklusion beiträgt.