Die Stimmung schwankte zwischen (Vor-)Freude und großem Respekt vor der Aufgabe, als ich an einem heißen Sommertag 2019 in Kopenhagen zum Präsidenten des Europäischen Erwachsenenbildungs-Verbandes EAEA gewählt wurde. Die folgenden sechs Jahre sollten für mich eine große Lernerfahrung über Europa und seine Erwachsenenbildung werden.
Dabei ging es durchaus herausfordernd los: Die Pandemie zwang uns ins Digitale. Vorstandssitzungen und alle anderen Treffen fanden vor dem Bildschirm statt, als Präsident kam mir dabei eher die Aufgabe zu, die Stimmung hochzuhalten und eine veränderte Kommunikationskultur zu etablieren. Wie in anderen Bereichen auch, hat diese Zeit auch bei der EAEA Spuren hinterlassen: Die Anteile an Besprechungen im digitalen Raum blieb auf einem höheren Niveau als vor der Pandemie, was Kosten und Zeit spart und hilft, die, durch das viele Reisen entstehende Umweltbelastung zu reduzieren. Neue Tools wurden etabliert und Erfahrungen gesammelt, wie der Verlust an persönlicher Nähe ausgeglichen werden kann. Insgesamt ging die EAEA als Europäisches Netzwerk so gestärkt aus dieser schwierigen Phase hervor.
Eine ständige Herausforderung für jeden Präsidenten ist die Diversität der Erwachsenenbildung in Europa. Viel stärker als in jedem anderen Bildungsbereich, unterscheiden sich die Traditionen, Rahmenbedingungen, Trägerstrukturen und Aufgaben zwischen Nord und Süd, Ost und West. Als Präsident sah ich hier meine Aufgabe darin, die verschiedenen Wirklichkeiten in der Politik der EAEA adäquat abzubilden und dafür Sorge zu tragen, dass auch die schwächeren Mitglieder, die in ihren Ländern mit zum Teil sehr elementaren Existenzfragen zu kämpfen haben, zu ihrem Recht kommen und die EAEA als ihren Verband betrachten.
Dies gilt insbesondere für die Mitglieder aus Nicht-EU-Staaten. Wie viele Verbände hat EAEA sein Büro in Brüssel und die EU-Kommission, sowie das EU-Parlament bilden seine zentralen Bezugsgrößen, denen gegenüber, die Interessen der Erwachsenenbildung verteidigt werden müssen. Da liegt es in der Natur der Sache, dass die Gefahr besteht, dass die Anliegen der Mitglieder etwa aus Südosteuropa oder dem Kaukasus ins Hintertreffen geraten. Die Gründung der Arbeitsgruppe „Europe is more than the EU“ hat dem wirksam entgegengewirkt, in dem sie ein Forum anbot, in dem die Interessen und Anliegen dieser für uns wichtigen Mitglieder diskutiert werden konnten.
Wie gesagt – ein Gutteil der Aktivitäten der EAEA als Dachverband besteht in der Lobbyarbeit gegenüber Kommission und Parlament. In beiden Organisationen gibt es eine große Zahl überzeugte Europäer*innen, die bereit sind, ihre reichlich vorhandenen Talente für die Europäische Idee einzusetzen. Leider scheitert dies, was die Kommission angeht, oftmals an einer bürgerfernen Überregulierung und Hierarchisierung, der nach meiner Beobachtung ein abnehmendes Maß an Zivilcourage und Resilienz bei den Bediensteten gegenübersteht. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber vielleicht sollte künftig bei der Personalauswahl nicht nur auf exzellente Noten und Sprachkenntnisse, sondern auch auf einen erfahrungsgesättigten Lebenslauf und die Fähigkeit zum eigenständigen Handeln Wert gelegt werden, ohne die eine Bürokratie sehr schnell zu einer starren und bürgerfernen Maschinerie verkommt. Was das EU-Parlament angeht, so war es viele Jahre ein guter Verbündeter für die Anliegen der Erwachsenenbildung. Die letzten Wahlen haben hier allerdings eine sehr deutlich spürbare Verschlechterung bewirkt, insbesondere was den Respekt vor der Zivilgesellschaft angeht, auf deren Wirken gerade die Erwachsenenbildung in vielen Ländern beruht. Insbesondere durch den Druck rechtspopulistischer Parteien drohen hier bedenkliche Verschiebungen, die jahrelang undenkbar waren.
Für mich interessant und sehr schön zu sehen war, dass sich in der Erwachsenenbildungs-Community in Bezug auf Europa ein geradezu gegenläufiger Trend zur allgemeinen Europaskepsis und wachsenden Ablehnung bemerkbar machte. Viele Mitglieder und Einzelpersonen engagieren sich heute als überzeugte Europäer, für die nicht mehr die Frage allein im Mittelpunkt steht, was ich oder meine Organisation „von Brüssel“ bekommen kann, sondern wie wir als Teil des Bildungssystems der Europamüdigkeit in weiten Teilen unserer Bevölkerung entgegenwirken können. Europäische Begegnungen und grenzüberschreitender Austausch, wie sie gerade das Erasmus+-Programm ermöglicht, haben hier ihre positiven Wirkungen hinterlassen.