Die Ukraine ist auf dem Weg zur Verabschiedung von Gesetzen für Erwachsenenbildung und -förderung.
Infolge des Krieges haben Millionen Ukrainer*innen ihre Arbeit verloren. Um die Wirtschaft des Landes zu unterstützen, ist eine hochwertige Umschulung der Menschen erforderlich. Um Desinformation zu bekämpfen und eine aktive Bürgerschaft zu fördern, ist es außerdem notwendig, auch für Erwachsene politische Bildung zu betreiben.
Laut einer soziologischen Studie der Rating-Gruppe haben seit 2022 etwa 40 Prozent der Ukrainer*innen ihren Arbeitsplatz verloren. Es liegt auf der Hand, dass Weiterbildung und Umschulung für den Wiederaufbau der Wirtschaft des Landes und das Wohlergehen der Bürger*innen von besonderer Bedeutung sind. In der Nachkriegsperspektive wird sich die Frage der Wiedereingliederung von Kämpfer*innen in die Gesellschaft stellen. In diesem Zusammenhang kann Erwachsenenbildung einen wichtigen Beitrag leisten.
Die Erwachsenenbildung in der Ukraine umfasst formale und nicht formale Segmente. Für die formale Bildung (Postgraduiertenausbildung, berufliche Weiterbildung usw.) ist das Ministerium für Bildung und Wissenschaft der Ukraine zuständig. Die Ausbildung und Umschulung von Ukrainer*innen wird teilweise von den Arbeitsämtern des Ministeriums für Sozialpolitik übernommen. Laut der Studie „State Policy of Adult Learning and Education in Ukraine“ gibt es in diesem Bereich einige Probleme. Dazu zählen das Fehlen wettbewerblicher Verfahren für die Zuweisung von Finanzmitteln und die ineffiziente Verwendung der für die Erwachsenenbildung bereitgestellten staatlichen Haushaltsmittel. So werden jährlich etwa zwei Milliarden Hriwna aus dem Staatshaushalt für die Erwachsenenbildung ausgegeben. Der größte Teil der Mittel wird für Verwaltungszwecke und nicht für Bildungsdienstleistungen ausgegeben.
Erwachsenenbildungsgesetz wie in anderen Ländern Europas
In vielen europäischen Ländern ist die Erwachsenenbildung inzwischen durch spezielle Gesetze geregelt, die es erlauben, solchen Problemen beizukommen. Im Februar 2022 wurde in der Ukraine das Gesetz Nr. 7039 zur europäischen Integration "Über Erwachsenenbildung" registriert. Es zielt darauf ab, allen Bürger*innen unabhängig von Status, Einkommen, Beschäftigung usw. Zugang zur Bildung zu verschaffen. Die Verabschiedung eines solchen Gesetzes wird den Bürger*innen der Ukraine zahlreiche Möglichkeiten eröffnen. So wird ein Nationaler Fonds zur Unterstützung der Erwachsenenbildung mit klaren Kriterien für die Mittelvergabe eingerichtet werden. Es wird für die Menschen einfacher, neue Berufe zu erlernen oder ihre Qualifikationen in einigen Bereichen durch berufliche Weiterbildung in den Zentren für Erwachsenenbildung (ALECs) zu verbessern. Die Qualität der Bildungsangebote wird sich verbessern. Darüber hinaus können Arbeitssuchende potenziellen Arbeitgeber*innen ein so genanntes "Bildungsportfolio" vorlegen, in dem alle von einer Person erworbenen Qualifikationen in einer einzigen Datenbank aufgeführt sind.
Politiker*innen und Expert*innen dringen auf rasche Verabschiedung
Um die Aufmerksamkeit der Beteiligten auf die Rolle der Erwachsenenbildung beim Wiederaufbau nach dem Krieg zu lenken, fand am 6. April in Kyjiw ein Forum zu Fragen der rechtlichen Regulierung von Erwachsenenbildung und -ausbildung in der Ukraine statt. Die Veranstaltung wurde gemeinsam von der Ukrainischen Vereinigung für Erwachsenenbildung (UAEA) und dem Büro von DVV International organisiert. Das Forum wurde vom Ministerium für Bildung und Wissenschaft der Ukraine unterstützt und vom deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert.
An der Veranstaltung nahmen ukrainische und internationale Experten teil, die über die Rolle der Erwachsenenbildung und der Gesetzgebung in diesem Bereich für die Entwicklung der Länder diskutierten. Zu den Gästen gehörten Ruslan Stefanchuk, Vorsitzender des Parlaments der Ukraine, (Werchowna Rada), die Abgeordnete und Leiterin des Unterausschusses für Hochschulbildung der Werchowna Rada Yuliia Hryshyna, die bevollmächtigte Beraterin des Präsidenten der Ukraine für Fragen der Barrierefreiheit Tetiana Lomakina und der Regionaldirektor von DVV International für die östlichen Nachbarländer Levan Kvatchadze. Gustav Fridolin, 2014 bis 2019 schwedischer Bildungsminister und ehemaliges Mitglied des schwedischen Parlaments sowie Mitglied des Exekutivkomitees des Europäischen Verbandes für Erwachsenenbildung, Lauri Tuomi, Generaldirektor der finnischen Stiftung für lebenslanges Lernen und Mitglied des Exekutivkomitees des Europäischen Verbandes für Erwachsenenbildung, Professorin Katarina Popović (Universität Belgrad), Generalsekretärin des Internationalen Rates für Erwachsenenbildung, und Professorin Anke Grotlueschen von der Universität Hamburg nahmen online am Forum teil.
Die hohen Vertreter*innen des ukrainischen Parlaments und der Regierung betonten in ihren Reden die Bedeutung der Unterstützung der Erwachsenenbildung auf staatlicher Ebene. Insbesondere der Vorsitzende der Werchowna Rada, Ruslan Stefanchuk, unterstrich die entscheidende Rolle einer schnellen und qualitativ hochwertigen Umschulung und forderte: "Die Werchowna Rada der Ukraine hat den Gesetzesentwurf ‚Über die Erwachsenenbildung‘ grundsätzlich angenommen. Derzeit liegen mehr als tausend Änderungsanträge dazu vor, aber das Gesetzgebungsverfahren darf sich nicht verzögern." Stefanchuk rief die Fachwelt auf, ihre Vorschläge einzubringen: Mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfs solle ein wirksamer Mechanismus geschaffen werden, damit jede* Ukrainer*in die Möglichkeit hat, lebenslang zu lernen.
Der Gesetzesentwurf "Über die Erwachsenenbildung" wurde von der Werchowna Rada in der ersten Anhörung (Januar 2023) gebilligt. Eine rasche Verabschiedung des Gesetzes ist geplant.