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Eine Gefahr für das "Recht auf Bildung" – Jugend- und Erwachsenenbildung in Lateinamerika in Zeiten des Corona-Virus

Regierungen vieler Länder Süd- und Mittelamerikas haben bereits früh mit teils drastischen Maßnahmen auf das neue Corona-Virus reagiert. Doch als die Restriktionen gelockert wurden, hat sich Lateinamerika zu einem Brennpunkt der Pandemie entwickelt. Eine Lektion aus der Corona-Krise heißt: Jugend- und Erwachsenenbildung ist notwendiger denn je. Doch wie ist eine "Bildung von Morgen" zu gestalten?

Seit März 2020 steht die Welt im Zeichen von Corona. Regierungen vieler Länder Süd- und Mittelamerikas haben bereits früh mit teils drastischen Maßnahmen auf das neue Virus reagiert. Vielerorts gab es nächtliche Ausgangssperren,  Schulen und Flughäfen, Restaurants und Geschäfte wurden geschlossen und der Verkehr vor Ort und über Land stark eingeschränkt. Doch ab Mitte des Jahres wurden die Restriktionen fast überall gelockert, und  Lateinamerika hat sich zu einem Brennpunkt der Pandemie entwickelt.

Die Auswirkungen des Virus auf den lateinamerikanischen Bildungssektor

Einrichtungen der Kinder, Jugend- und Erwachsenenbildung halten in fast allen Ländern seit Frühjahr ihre Tore und Türen geschlossen und setzen bis auf weiteres auf Fernunterricht. Doch Unterricht „auf Distanz“  erreicht bei Weitem nicht alle. Während private Schulen, Bildungsinstitute oder Universitäten mit digitaler Ausstattung und Internetanschluss  durchaus punkten können, gerät der öffentliche Bildungssektor immer mehr ins Abseits. Und damit zugleich all jene Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die sich keine private Bildung leisten können. Wo immer Bildungsangebote nur online zugänglich sind, bedeutet dies für sozial Benachteiligte zumeist nichts anderes als kein Zugang zu Bildung (mehr); und dies nicht nur in entlegenen Regionen der Anden oder des Amazonasbeckens, sondern auch in urbanen Zentren wie Lima, Quito oder Mexico City.

Die Quarantänemaßnahmen haben einen hohen sozialen und wirtschaftlichen Preis. Millionen von Lateinamerikanerinnen und -amerikaner sind gezwungen, ihr Haus zu verlassen, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Und der Anteil der in Armut lebenden Bevölkerungen steigt rapide. Gleichzeitig sorgen informelle  Arbeitswelten, enge und prekäre Wohnverhältnisse, mangelnde Aufklärung und Gesundheitsbildung, Falschinformation sowie schlecht ausgestattete bis desolate öffentliche Gesundheitssysteme für eine rapide Ausbreitung des Virus.

Corona bringt Defizite „an den Tag“

All dies beschreibt für die Region typische Probleme, die bereits vor der Covid-19 Krise existierten. Corona bringt diese Defizite jedoch „an den Tag“, deutlicher als je zuvor und verschärft sie zudem. Schon jetzt zeichnet sich für viele Länder Lateinamerikas und der Karibik ab, dass bislang erreichte Fortschritte in Bereichen wie Armutsbekämpfung, Geschlechtergleichheit und soziale Gerechtigkeit durch die Pandemie um Jahrzehnte zurückgesetzt werden. Und Gleiches gilt für das „Recht auf Bildung“, insbesondere in Bereichen der Jugend- und Erwachsenbildung sowie der non-formaler Aus- und Weiterbildung.

Bereits in „normalen“ Zeiten chronisch unterfinanziert und in nationalen Bildungssystemen von nur untergeordneter Bedeutung, fallen als erstes Bildungsangebote für sozial benachteiligte Jugendliche und Erwachsene in Krisensituationen Kürzungen zum Opfer. Und just dies ist aktuell in Peru, Ecuador ebenso wie in Guatemala und Mexiko der Fall. Lokale Erwachsenenbildungszentren, die für viele Menschen auf dem Land, in kleinen Gemeinden oder städtischen Randzonen die oft einzige Möglichkeit sind, zumindest eine Grundbildung zu erhalten, haben ihren Betrieb eingestellt. Und dort wo sie noch funktionieren, arbeiten Dozentinnen und Dozenten nicht selten monatelang ohne Gehalt und mit Materialien, die sie von „Tür zu Tür“ verteilen.

Präsenzunterricht ist in Zeiten der Pandemie nicht möglich oder per Dekret sogar verboten. Aber für die Umstellung auf digitale Bildungsangebote fehlt es an Ausstattung, Infrastruktur und finanziellen Mitteln ebenso wie an fachlichen Kompetenzen des Lehrpersonals. Staatliche Unterstützung konzentriert sich in Zeiten von Corona de facto ausschließlich auf den formalen Bildungssektor, sprich Schulen. Außerschulische Bildung für Jugendliche und Erwachsene bleibt – da keine bildungspolitische Priorität – inzwischen völlig außen vor. Und dies bedeutet konkret, dass das „Recht auf Bildung“ für Millionen lateinamerikanischer Jugendlicher und Erwachsener bereits aktuell weder einlösbar noch in Zukunft garantiert ist.

„Lessons Learnt“ aus der Corona Krise

Für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung der Region wird dies erhebliche Folgen haben. Schon vor Ausbruch der Pandemie zählte ein Land wie Ecuador mit ca. 16. Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern rund  5 Millionen Jugendliche und Erwachsene ohne Schulabschluss. Im Nachbarland Peru waren es laut offiziellen Angaben über 7 Millionen, die nicht einmal einen Grundschulabschluss haben. Und offizielle Zahlen bilden oft nur einen Ausschnitt der Realität ab. Seit Ende 2020 steigen die Zahlen jugendlicher Schulabbrecherinnen und -abbrecher dramatisch an. Viele Kinder und Jugendliche, die bereits jetzt ein ganzes Schuljahr verloren haben, werden auch nach Öffnung der Schulen nicht mehr dorthin zurückkehren; sie sind älter geworden, müssen ihre Familien unterstützen und Geld verdienen. Ohne Schulabschluss haben sie, jung oder erwachsen, kaum Chancen auf berufliche Ausbildung und bessere Lebensbedingungen, von persönlicher Weiterbildung ganz zu schweigen.

Eine Lektion aus der Corona-Krise heißt daher schon jetzt: Jugend- und Erwachsenenbildung ist notwendiger denn je. Bedarf und Nachfrage wachsen rapide.  Aber verschulte Bildung für Erwachsene, so wie sie in Lateinamerika bislang praktiziert wird, ist keine Alternative für die Zukunft. Doch wie ist solch eine „Bildung von Morgen“ zu gestalten? Welche Formen und Konzepte, Aktionen und Strategien sind gefragt, um lebenslanges Lernen für lokale Bevölkerungen zu garantieren? Und was ist zu tun, um diese in nationalen Bildungspolitiken zu positionieren?

Potenziale für die Zukunft – das V Encuentro Andino

Mit diesen Fragen befassten sich rund 2.000 Teilnehmende des V Encuentro Andino de Educación de Personas Jóvenes y Adultas, einer digitalen Veranstaltung zur lateinamerikanischen Jugend- und Erwachsenenbildung, die vom 8.-10. Dezember 2020 stattfand. Organisiert vom DVV International Landesbüro Peru, setzte die Konferenz klare Akzente zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Bildung für Jugendliche und Erwachsene in post-pandemischen Zeiten. Den Auftakt bildete eine kritische Analyse der aktuellen Lage der Erwachsenenbildung in Ländern Süd- und Mittelamerikas fünf Jahre nach Verabschiedung der Agenda 2030. Berichte und Videos von Beispielen aus der Praxis zeigten, wie innovativ, kenntnisreich, kreativ und wirksam Erwachsenbildung bereits jetzt vor Ort in Ländern wie Ecuador, Kolumbien oder Peru auf Krisensituationen reagieren kann.

Dieses Potenzial auch bildungspolitisch sicht- und nutzbar zu machen, ist ein zentrales Fazit des V Encuentro Andino. Ein mit Blick auf eine „Erwachsenenbildung der Zukunft“ abschließend verfasstes Manifest, unterstreicht Bedeutung und Potenzial einer Jugend und Erwachsenenbildung zur Bewältigung von Krisen und für eine nachhaltige Entwicklung, und formuliert zudem konkrete Aufträge für die VII. Weltkonferenz für Erwachsenenbildung (CONFINTEA VII) aus lateinamerikanischer Perspektive.

Für weitere Informationen zum Encuentro Andino und Videos mit zahlreichen Beispielen aus der Praxis, finden Sie auf der Webseite der Konferenz sowie auf der Facebook-Seite von DVV International Peru und der Webseite von DVV International Peru.

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