„Die soziale Dimension von Nachhaltigkeit ist die für alle Menschen unmittelbar spürbare: (Un)Gleichheit in und zwischen Gesellschaften, Armut, Arbeit, Konsum, Gesundheitsversorgung. Sie holt Nachhaltigkeit aus der „Öko-Ecke“ heraus, die es ja in der Wahrnehmung vieler Menschen immer noch gibt.“
- Irene Ofteringer, vhs Köln, Fachbereichsleitung Tanz Theater Literatur Train the Trainer
Titel: Train the Trainer (EPQ): Bildung für Nachhaltige Entwicklung
Vhs: Köln
Format: Fortbildung für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der BNE
Methoden: Gruppenarbeit, Gesprächskreis/Diskussion, Positionierung im Raum
Frau Ofteringer, worum genau ging es bei Ihrem Training?
Es ging um Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE), und zwar aus der Trainer-Perspektive. Die Materialien, die wir verwendet haben, waren im Rahmen der Entwicklung des Lehrgangs Train-the-Trainer (EPQ) des Landesverbandes der Volkshochschulen in NRW konzipiert worden. Wir haben zunächst die historische Entwicklung des Begriffs der Nachhaltigkeit skizziert und den Weg von den Millennium Development Goals (MDGs) zu den Sustainable Development Goals (SDGs) nachgezeichnet. Dabei wurde deutlich gemacht, dass die noch ziemlich paternalistischen MDGs abgelöst wurden von einem deutlich partnerschaftlicheren Verhältnis zwischen Globalem Süden und Globalem Norden im Zuge der SDGs. Wir haben festgestellt, dass die SDGs sehr viel mehr den Zusammenhang zwischen dem eigenen Verhalten und den globalen Auswirkungen sowie unsere gegenseitige Abhängigkeit voneinander verkörpern.
Anschließend hat die Gruppe diskutiert und erarbeitet, wie Volkshochschule sowohl in der Lehre als auch darüber hinaus Nachhaltigkeit verwirklichen bzw. sich in diese Richtung entwickeln kann. Der Ausgangspunkt hierfür waren stets die individuellen Haltungen der Teilnehmenden zum Thema Nachhaltigkeit und die Erfahrungen aus den jeweiligen vertretenen Fachbereichen. Dabei entstanden verschiedene Seminarideen. Es wurden aber auch Dinge der äußeren Form von Bildungsangeboten angesprochen, wie die sehr papierlastige Verwaltung oder die Snack- und Kaffeeautomaten, die in Sachen Verpackung und Herkunft der Waren nicht nachhaltig sind (bis auf den leider weiterhin verwaisten ‚Fairomaten‘, der bei uns im Haus vorhanden ist).
Wir haben außerdem Punkte besprochen, die eher die soziale- und ökonomische Dimension von Nachhaltigkeit betreffen und häufig zu wenig Beachtung in Diskursen zum Thema BNE finden. Das sind prekäre Arbeitsbedingungen der freiberuflich Lehrenden, zu geringe Entgelte oder auch Barrierefreiheit.
Hier denken immer noch viele Menschen vor allem an große Toiletten und Rollstuhlrampen. Das wir mit unseren Lehrmaterialien auch blinde Menschen erreichen könnten, haben die wenigsten auf dem Schirm. Oder dass man zu Veranstaltungen auch selbstverständlich Gebärdendolmetscher*innen dazu bucht. Die Materialbeschaffung ist ein kritisches Thema: ob Yogamatte, Smartboard oder Materialien in Kunstkursen: Wir müssen Nachhaltigkeit sowohl in ökologischer Hinsicht berücksichtigen, z.B. Herkunft oder Kompostierbarkeit, als auch bzgl. Lieferketten, Arbeitsbedingungen, Haltbarkeit etc.
Was war das Ziel der Veranstaltung?
Wir wollten das Strategische Ziel ‚Nachhaltigkeit‘ der VHS Köln verwirklichen. Wir haben uns im Sommer 2021 selbst den Auftrag gegeben, nachhaltiger zu werden und uns damit auseinandergesetzt, was wir auf welchen Ebenen tun wollen. In der Politischen- und Umweltbildung sind wir bereits sehr stark, aber die Umsetzung in anderen Bereichen ist noch ausbaufähig.
Die Diskussion während dieser konkreten Veranstaltung hat sich jedoch auch von der Angebotsebene in Richtung Whole-Institution Approach verbreitert – eine sehr positive Entwicklung!
(Anmerkung: Bei DVV International gibt es seit 2021 ein Projekt, das 12 Einrichtungen der Erwachsenenbildung auf dem Weg zur Whole-Institution begleitet und unterstützt. Das Ideal des Whole-Institution Approach (WIA) ist ein Bildungsort, an dem Nachhaltigkeit nicht nur unterrichtet wird, sondern an dem auch jedes ökonomische, soziale und ökologisch relevante Handeln nach Aspekten der Nachhaltigkeit ausgerichtet wird. So können Lernende erleben, wie das Erlernte im Übereinklang mit dem Umfeld steht. Das stärkt die Authentizität des Lernortes selbst, aber auch der Lehrenden. Und es intensiviert die Lernerfahrung auf anderen Ebenen.)
Wie haben Sie methodisch mit den Teilnehmenden gearbeitet?
Durch Bilder wurden Assoziationen zum Begriff Nachhaltigkeit ausgelöst. Die wurden dann mit den anderen Teilnehmenden geteilt. Anschließend gab es eine Präsentation mit Diskussion zu den theoretischen Grundlagen. Und die Teilnehmenden haben sich zu verschiedenen Fragen und Thesen im Raum positioniert. Konkrete Konzeptideen in Einzel- und Gruppenarbeit wurden entwickelt und in der Gruppe besprochen und am Ende wurden Ergebnisse festgehalten und in der Cloud geteilt. Wir hätten uns jedoch einen noch regeren Austausch in der Cloud im Nachgang der Veranstaltung gewünscht.
Sie veranstalten regelmäßig solche Trainings. Was motiviert Sie?
Die Überzeugung, dass der globale Blick in alle Lebensbereiche gehört. Zudem der Wunsch, dass auch in Bereichen wie Gesundheitsbildung, Kulturelle Bildung, Sprachen oder Berufliche Bildung ein Bewusstsein dafür geschaffen wird, dass die Themen dort gut zu verankern sind. Dies kann geschehen, indem wir über möglichst konkrete Ideen sprechen, die von denen kommen, die in diesen Bereichen lehren, mit all ihrer Professionalität und Überzeugung. Es scheitert in der Regel nicht an der Haltung der Lehrenden, sondern eher daran, dass sie diese Haltung nicht als etwas ansehen, was sie in ihrer professionellen Tätigkeit prägen kann.
Sie sagten, dass sich die Diskussion während der Veranstaltung in Richtung Whole-Institution Approach verbreitert hat. Wie genau wurde dieser thematisiert?
Unsere Lernenden haben das Thema selbst eingebracht. Und zwar deutlicher als ich erwartet habe. Das fand ich überraschend und erfreulich gleichzeitig. Das zeugt von einem weiten Blick, der die eigene Veranstaltung in einen größeren Kontext stellt.
Gleichzeitig ist es für uns als Institution eine Herausforderung. Nehmen Sie zum Beispiel die Arbeitsbedingungen der Freiberuflichkeit und Honorarhöhen. Die wurden von den teilnehmenden Dozent*innen thematisiert und sind der sozialen Dimension von Nachhaltigkeit zuzurechnen. Die vom Rat der Stadt verabschiedete Honorarordnung definiert hier unseren Handlungsrahmen. Auch Themen wie die nachhaltige Gestaltung von Kriterien der Materialbeschaffung oder die Reduktion des Papierverbrauchs sind für uns als kommunale VHS nicht ohne weiteres umsetzbar, da wir als Amt aufgestellt und damit an alle städtischen Regularien und Rahmenverträge gebunden sind.
Gehen die Konzepte BNE und Whole-Institution für Sie Hand in Hand?
Hand in Hand ist für mich nicht das passende Bild, dann wären sie ja separat. Man könnte eher sagen, dass der Whole-Institution-Approach ein Bestandteil von BNE ist. Ich hoffe sehr, dass es uns als Amt und großer Tanker gelingen wird, auch auf der institutionellen Ebene Schritte in die richtige Richtung zu gehen. Indem wir Nachhaltigkeit zum Strategischen Ziel gemacht haben, begeben wir uns hier in einen Prozess der Organisationsentwicklung, der bei unserer Qualitätsbeauftragten in guten Händen ist und auf vielen Schultern getragen wird.
Zu Beginn erwähnten Sie, dass die soziale Dimension von Nachhaltigkeit zu selten in Diskursen zum Thema BNE beachtet wird. Warum ist Ihnen diese soziale Dimension von Nachhaltigkeit so wichtig?
Weil sie die für alle Menschen unmittelbar spürbar ist: Gleichheit oder Ungleichheit in und zwischen Gesellschaften, Armut, Arbeit, Konsum, Gesundheitsversorgung. Sie holt Nachhaltigkeit aus der „Öko-Ecke“ heraus, die es ja in der Wahrnehmung vieler Menschen immer noch gibt. Wer versteht, wie umfassend Nachhaltigkeit gelebt und gedacht werden muss, und wie sehr sie uns unmittelbar betrifft, wird auch eher bereit sein, sich damit auseinander zu setzen.
Haben Sie Tipps für Volkshochschulen, die eine ähnliche Veranstaltung organisieren wollen?
Für Volkshochschulen in NRW: Das Material zum Modul Bildung für Nachhaltige Entwicklung des Lehrgangs Train-The-Trainer (EPQ) bietet eine gute Grundlage und kann beim Landesverband angefragt werden.
Abgesehen davon kann ich nur empfehlen, den Teilnehmenden eine konkrete Handlungsorientierung mitzugeben und einen Rahmen für die Veranstaltung zu setzen. Außerdem sollten die Hauptamtlichen von Beginn an miteinbezogen und die Veranstaltung mit HPMs und Lehrenden gemeinsam durchgeführt werden, damit die Seminarergebnisse eine konkrete Umsetzungsperspektive bekommen. Das ist hier nur zum Teil gelungen.
Inwiefern ist das Thema BNE auch über diese Veranstaltung hinaus Thema in ihrer vhs?
Wir bieten sehr viele Veranstaltungen, Vorträge und Seminare zum Thema BNE im Bereich der Politischen Bildung an. Ein Beispiel für eine Veranstaltung, die wir umsetzen, ist die Fair Trade Night, die einmal im Jahr stattfindet. BNE ist aber auch in anderen Bereichen verankert, z.B. gibt es ein Angebot „Re-Fashion“ im Nähbereich und andere Kurse, die im weitesten Sinne mit Upcycling umschrieben werden könnten. Auch die Umweltbildung ist bei uns in der Politischen Bildung angesiedelt und ist daher mit dem entsprechenden BNE-Blick versehen.
Wir führen derzeit ein BNE-Projekt in den Sozialräumen durch, das auch Menschen erreicht, die sich sonst vermutlich eher nicht mit der Thematik auseinandergesetzt hätten. Sozusagen am anderen Ende des Spektrums steht zum Beispiel eine gut besuchte Fachtagung zum Thema BNE Mitte November in Köln, an der auch viele VHS-Kolleg*innen teilgenommen haben.
Das Thema BNE wird von vielen Kolleg*innen an der VHS Köln getragen und vorangebracht. Die beschriebene Veranstaltung ist da ein Mosaikstein unter vielen. Zusammenfassend lässt sich sagen: Wir sind unterwegs – aber der Weg ist noch weit.
Vielen Dank für das Interview, Frau Ofteringer!
Irene Ofteringer leitet den Fachbereich Tanz Theater Literatur Train the Trainer an der vhs Köln.
DVV International arbeitet mit mehr als 200 Partnern in über 30 Ländern.
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